
Studie liefert erstmals wissenschaftliche Angaben zu Long-Covid in der IV
Bis Ende 2023 haben sich schätzungsweise 2900 Personen mit Long-Covid bei der IV angemeldet. Ab Anfang 2021 ist die Zahl der Fälle zunächst angestiegen, im Jahr 2023 aber wieder leicht gesunken. Mit 1,8 Prozent machen die Long-Covid-Fälle nur einen kleinen Teil aller IV-Neuanmeldungen aus. Diese Personen weisen aber häufig besonders schwere Symptome auf: In neun von zehn Fällen sind die Personen zu 100 Prozent krankgeschrieben. 85 Prozent der Personen haben Symptome wie Fatigue oder Belastungsintoleranz. Sie sind chronisch müde und sehr schnell erschöpft. 60 Prozent weisen neuro-kognitive Störungen, wie zum Beispiel Konzentrations- oder Merkfähigkeitsstörungen auf. Zwei Drittel aller Long-Covid-Betroffenen in der IV sind Frauen.
Zunächst prüft die IV nach dem Prinzip «Eingliederung vor Rente», welche Eingliederungsmassnahmen bei einer Person möglich sind. Bei rund 60 Prozent der Betroffenen zeigen sich in den ersten zwei Jahren nach der IV-Anmeldung erste Verbesserungen der Arbeitsfähigkeit. Ein erheblicher Anteil der Long-Covid-Betroffenen – insbesondere ältere Personen und Personen mit mehreren gesundheitlichen Beeinträchtigungen – ist aber auch nach zwei Jahren noch zu 100 Prozent arbeitsunfähig. Verbesserungen treten entweder rasch oder aber kaum mehr ein.
Häufiger eine Rente erhalten
Personen mit Long Covid haben mehr Abklärungs- und Eingliederungsmassnahmen der IV erhalten und häufiger eine Rente bezogen als dies in der Vergleichsgruppe der Fall war. Ende 2023 bezogen 12 Prozent der Long-Covid-Betroffenen, die sich in den Jahren 2021 und 2022 in der IV angemeldet haben, eine Rente. Zum Vergleich: In der Referenzgruppe ohne Long-Covid lag der Anteil der Rentenbeziehenden bei 9 Prozent. Der Anteil der Long-Covid-Betroffenen, die eine IV-Rente beziehen, dürfte noch ansteigen. So bezogen Ende 2023 von den Long-Covid-Betroffenen mit Anmeldejahr 2021 rund 20 Prozent eine Rente (Referenzgruppe 13%).
Die Studie kommt zum Schluss, dass Long-Covid auch für die IV ein neues, ernstzunehmendes Krankheitsbild mit häufig drastischen Auswirkungen für die Betroffenen darstellt. Für die IV bedeutet das komplexe, oft langwierige und mit Unsicherheiten verbundene Abklärungen. Die längerfristige Entwicklung der Zahl von Neurenten aufgrund von Long-Covid ist schwierig abzuschätzen, da das Virus weiterhin zirkuliert. Die Anzahl zusätzlicher Neurenten ist aber in Relation zu den übrigen IV-Renten (Bestand 2023: 251’000) und jährlichen Neurenten (2023: 22'300) als gering einzustufen.
Studie schliesst eine Lücke
Die Studie «Auswirkungen von Long-Covid auf die Invalidenversicherung» ermöglicht eine vorläufige Bilanz zur Anzahl Long-Covid-Betroffener, die sich bei der IV angemeldet haben und zu den Leistungen, die diesen Personen zugesprochen wurden. Sie stützt sich auf rund 500 Falldossiers, welche die IV-Stellen in den Jahren 2021 bis 2023 registriert haben und als «Long-Covid-Betroffene» identifiziert wurden. Die Ergebnisse aus der Analyse der Dossiers wurden auf die Gesamtheit der Anmeldungen im Untersuchungszeitraum hochgerechnet. Um die Resultate besser einordnen zu können, wurde eine Vergleichsgruppe aus angemeldeten Versicherten ohne Long Covid gebildet.
Die Studie schliesst eine Lücke, weil sie die Entwicklung über einen Zeitraum von knapp drei Jahren und eindeutige Long-Covid-Fälle in den Blick nimmt. Momentaufnahmen auf der Basis von Long-Covid-Diagnosen und den zugesprochenen Leistungen hingegen sind aus mehreren Gründen unvollständig und ungenau:
Nicht bei allen Long-Covid-Betroffenen, die sich bei der IV angemeldet haben, liegt auch eine ärztliche Diagnose «Long-Covid» vor.
Bei einem Teil der Long-Covid-Betroffenen verändert sich das Krankheitsbild seit der Anmeldung. Eine Person kann Eingliederungsmassnahmen zugesprochen erhalten, erhält also zum Zeitpunkt der Erhebung IV-Leistungen, aber keine Rente. Das schliesst aber nicht aus, dass sie später eine Rente zugesprochen erhält.
Für einen Rentenanspruch muss die Arbeitsunfähigkeit während eines Jahres durchschnittlich mindestens 40% betragen haben und voraussichtlich weiterhin mindestens 40% betragen. Auch in einem Fall von Long-Covid, auch ohne Eingliederungspotenzial, kann es sein, dass der Rentenanspruch zum Erhebungszeitpunkt aus versicherungsseitigen Gründen noch nicht besteht.
Welchen Zweck haben die Abklärungen der IV?
Das Ziel der IV ist, dass Menschen mit gesundheitlichen Problemen erwerbstätig sein und ein selbständiges Leben führen können. Nur wenn die Eingliederung nicht möglich ist, werden Renten ausgerichtet. Es kann deshalb mehrere Jahre dauern, bis eine Rente ausgerichtet wird.
Die IV hat die Pflicht, alle Menschen gleich zu behandeln, unabhängig von der Krankheit oder der Beeinträchtigung. Die IV kennt grundsätzlich keine diagnosespezifischen Verfahren, und es gibt keine Diagnosen, die als solche zu einem Leistungsanspruch führen. Die Abklärungen verlaufen stets individuell je nach gesundheitlicher und beruflicher Situation der versicherten Person ab. Den IV-Stellen stehen in den Gutachterstellen zahlreiche medizinische Fachdisziplinen zur Verfügung, um das oft vielfältige Bild der Beschwerden differenziert beurteilen zu können. Ergänzend hat die Swiss Insurance Medicine (SIM) in Zusammenarbeit mit der Universität Basel Empfehlungen zur versicherungsmedizinischen Abklärung von Long-Covid-Fällen herausgegeben, welche regelmässig aktualisiert werden.
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